Die italienischen Schuhe by Mankell Henning

Die italienischen Schuhe by Mankell Henning

Autor:Mankell, Henning [Mankell, Henning]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-22T04:00:00+00:00


6

ICH ERHOB mich aus dem Schnee, klopfte mich ab und erklärte, wer ich war. Das Mädchen begann, nach mir zu treten, aber Agnes fuhr sie an, und sie verschwand.

»Ich brauche keinen Wachhund«, sagte Agnes. »Sima sieht alles, was geschieht, alle, die sich dem Haus nähern. Sie hat einen Blick wie ein Bussard. Eigentlich glaube ich, sie hätte als Raubvogel geboren werden sollen.«

»Ich dachte, sie würde mich totschlagen.«

Agnes warf mir einen raschen Blick zu, antwortete aber nicht. Mir wurde klar, daß diese Möglichkeit tatsächlich bestanden hatte.

Wir gingen ins Haus und setzten uns in ihr Büro. Irgendwo dröhnte laut aufgedrehte Rockmusik. Agnes schien es nicht zu hören. Als sie die Jacke ablegte, tat sie es genauso schnell, als hätte sie zwei Arme und zwei Hände.

Ich setzte mich auf einen Besucherstuhl. Der Schreibtisch war leer, ein einsamer Stift lag darauf, sonst nichts.

»Wie glauben Sie, daß ich reagiert habe, als ich Ihren Brief bekam?« fragte Agnes.

»Ich weiß nicht. Erstaunen müssen Sie verspürt haben. Vielleicht Wut?«

»Ich war erleichtert. Endlich, dachte ich! Aber dann fragte ich mich, warum gerade jetzt? Warum nicht gestern oder vor zehn Jahren?«

Sie lehnte sich im Stuhl zurück. Sie hatte lange braune Haare, eine einfache Haarspange, klare blaue Augen. Sie wirkte kraftvoll, bestimmt.

Das Samuraischwert hatte sie auf ein Bord am Fenster gelegt.

Sie sah, daß ich es anschaute. »Ich habe es einmal von einem Mann bekommen, der mich liebte. Als die Liebe verschwand, nahm er aus einem unerfindlichen Grund das Futteral mit, hinterließ aber das scharf geschliffene Schwert. Vielleicht hoffte er, ich würde mir aus Verzweiflung darüber, daß er mich verließ, den Bauch aufschlitzen.«

Sie redete schnell, als wäre die Zeit knapp. Ich erzählte von Harriet und Louise, wie die Erkenntnis all der Wortbrüche, die ich begangen hatte, mich zwang, nach ihr zu suchen, herauszufinden, ob es sie noch gab.

»Haben Sie gehofft, daß es so wäre? Daß ich weg wäre?«

»Früher einmal habe ich das getan. Aber jetzt nicht mehr.« Das Telefon klingelte. Sie meldete sich, hörte kurz zu, antwortete kurz angebunden und bestimmt. Es gab keinen Platz in ihrem Mädchenheim, sie hatte schon drei Teenager in ihrer Obhut.

Ich trat in eine Welt ein, von der ich nichts wußte. Agnes Klarström wohnte in ihrem großen Haus zusammen mit drei Mädchen im Teenageralter, die in meiner Jugend als ungeraten gegolten hätten. Das Mädchen Sima kam aus einem von Göteborgs aufgegebenen Vororten. Wie alt sie war, konnte nicht ganz sicher ermittelt werden. Sie war als Flüchtling nach Schweden gekommen, allein, zusammengekauert in einem Fernlaster, der in Trelleborg schwedischen Boden erreicht hatte. Sie hatte auf der langen Flucht aus dem Iran den Rat erhalten, all ihre Papiere wegzuwerfen, sobald sie in Schweden angekommen wäre, sich selbst einen anderen Namen zu geben und alle Spuren davon, wer sie war, zu verwischen. Dann würde niemand sie aus dem Land ausweisen können, auch wenn diejenigen, die sie traf, nichts lieber wollten. Das einzige, was sie hatte, war ein Zettel mit drei schwedischen Worten, die sie angeblich kennen müßte.

Flüchtling, verfolgt, allein.

Als der Lastwagen außerhalb vom Flugplatz Sturup halt gemacht hatte, zeigte der Fahrer auf das Terminalgebäude und bedeutete ihr, das Polizeirevier aufzusuchen.



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